17.01.25

Julien Epaillard – mit dem ultimativen Gefühl fürs Pferd

Was macht Ihnen am Reiten am meisten Spaß?

Julien Epaillard: Natürlich liebe ich es zu reiten. Aber ich genieße es auch, jeden Tag mit Pferden zusammen zu sein. Es ist ein besonderer Sport. Es ist ein Sport, den wir mit einem Tier teilen. Ein großer Teil meines Jobs besteht darin, meine Pferde dazu zu bringen, alles für mich zu tun. Das ist eine tagtägliche Arbeit. Es braucht Zeit, das Vertrauen der Pferde zu gewinnen. Aber man kann es in Bruchteilen von Sekunden verlieren. Wie bei Menschen (lacht). Das ist ein großer Teil meines Jobs und es ist der Grund, warum ich es mag, mit Pferden auf einem normalen Niveau zu beginnen und sie von da aus zu fördern.

 

Sie scheinen eine eigene Philosophie mit Ihren Pferden zu haben, beispielsweise gehen sie alle ohne Hufeisen. Was steckt dahinter?

Ja, alle meine Pferde laufen barhuf. Außer, wenn es ein besonderes Turnier mit Grasplatz ist oder wenn der Boden nicht gut ist. Aber generell gehen alle Pferde barhuf. Bei Turnieren habe ich Plastikeisen dabei, nur für den Fall, dass ich den Eindruck habe, der Boden sei nicht gut. Letztes Wochenende hatte ich beispielsweise Donatello hinten Hufschuhe aufgezogen. Aber nur hinten, weil ich den Eindruck hatte, dass er so mehr Kraft hat. Wenn sie vorne Hufschuhe tragen, fühle ich mich nicht sicher in den Wendungen. Die Pferde sehen in den Wendungen unsicher aus. Ich versuche immer, in meine Pferde hineinzuhorchen und zu schauen, was für sie das Beste ist. Zuhause gehen meine Pferde alle zusammen auf die Weide, die Stuten und die Wallache zusammen, die Hengste natürlich nicht. Aber da ist es besser, wenn sie nicht beschlagen sind, wenn sie ausschlagen oder so.

Es ist ein großer Teil meines Jobs, zu schauen und zuzuhören. Vorher dachte ich, der Tierarzt macht seine Arbeit, der Hufschmied macht seine Arbeit und der Reiter macht seine Arbeit. Aber jetzt denke ich ganz anders. Ich denke, ich lebe jeden Tag mit meinen Pferden. Keiner kennt sie besser als ich. Ich sehe, wenn sie den Tierarzt brauchen, wenn sie den Hufschmied brauchen. Seit sechs oder sieben Jahren habe ich mein System total verändert.

 

Das heißt, Sie ziehen Ihren Pferden die Hufschuhe selbst an?

Nein, ich bearbeite die Hufe zwar selbst – okay, ich habe viele Pferde zuhause und es kommt Hilfe für die jungen Pferde –, aber wenn ein neues Pferd kommt, muss ich es selbst machen, damit ich den Huf kennenlerne und sehe, wie das Pferd sich bewegt.

 

Sie sagten, Sie hätten vor einigen Jahren Ihr System komplett geändert. Gab es dafür einen bestimmten Auslöser?

Ja, den gab es: Meine Pferde waren zu oft verletzt. Ich musste anfangen, mein System zu überdenken. Michel Hecart hat mir viel geholfen. Er hatte mir ein paar Pferde gegeben, weil er weniger geritten ist und wir haben gemeinsam überlegt. Wir haben verschiedene Beschläge ausprobiert, wieder überlegt, aber keine gute Lösung gefunden. Toupie de la Roque hatte Sehnenprobleme mit Beschlag. Also haben wir den Beschlag runtergenommen. Denn mit hatte sie zweimal eine Sehnenzerrung. Danach, ohne Eisen, hatten wir damit nie wieder Probleme. Sie hat das Springen des Longines FEI Jumping World Cup™ in London gewonnen und alles. Auch Safari d’Auge war immer mal wieder nicht 100 Prozent fit. Also habe ich es auch bei ihm probiert. Danach hatte er eine zweite Karriere. Er hat danach jede Menge gewonnen. Und hatte nie zuvor mehr Spaß dabei. Also habe ich gedacht, warum mache ich das nicht mit allen Pferden? So bin ich dazu gekommen. Ich denke, der Strahl muss Kontakt mit dem Boden aufnehmen können. Und sogar, wenn man einen weichen Beschlag wählt, ist der Aufprall nicht so hart. Wir haben versucht, eine bessere Lösung als Eisen zu finden. Das wird seit Tausenden Jahren benutzt, aber heute ist der Sport ein ganz anderer. Usain Bolt rennt auch nicht mit Eisenschuhen. Wir haben eine große Entwicklung in unserem Sport durchlebt. Für mich sind Hufeisen schwer und unflexibel. Wir machen nun gute Hufschuhe für Pferde, wie Nikes. Ich denke, es ist besser, Nikes zu tragen als Moonboots.

 

Die Gesundheit der Pferde ist in Deutschland ein großes Thema. Aber auch das Wohlbefinden der Pferde. Sie sagten, Ihre Pferde gehen täglich auf die Weide. Welche Rolle spielt das Wohlbefinden der Pferde bei Ihnen?

Grundsätzlich gehen unsere Pferde täglich raus. Aber wenn der Boden draußen nicht gut ist oder gefroren ist, gehen sie nicht raus. Wir gucken uns das Wetter an, wir schauen auf den Boden und wir gucken, wie es dem Pferd geht. Nicht alle Pferde wollen raus. Manche stehen sofort am Tor und wollen zurück in die Box. Für dieses Pferd verändern wir das System. Es gibt keine starre Vorgabe. Es geht um die einfachen Dinge, man muss die Augen offenhalten. Um diese Jahreszeit regnet es in Frankreich viel. Der Boden ist schlecht und es wächst kein Gras. Das ist keine Weidezeit. Also müssen wir etwas anderes finden. Dann gehen die Pferde öfter Schritt, kommen dreimal am Tag raus, gehen auf die Rennbahn. Wir versuchen immer, die Situation für jedes Pferd individuell anzupassen. Manchmal machen wir einen Fehler, dann machen wir es anders.

 

Stichwort Social License – wie ist das in Frankreich und was entgegnen Sie Kritikern?

Das ist eine schwierige Sache. In Frankreich haben wir da auch große Diskussionen. Ich denke, die Leute, die den Sport am liebsten abschaffen würden, sollten einmal kommen und mich besuchen. Ich habe viele Pferde, wenn der LKW vorfährt, werden sie total aufgeregt, weil sie auf den LKW wollen. Ich liebe Pferde. Natürlich mag ich es auch zu gewinnen. Aber man kann diesen Job nicht machen, wenn man Pferde nicht liebt. Ich kann die Leute gerne einladen, damit sie sehen, wie die Pferde reagieren. Ein Pferd ist kein Hund. Es wedelt nicht mit dem Schwanz. Es ist anders, man muss die Augen sehen, die Haltung, wenn es mit einem zusammen ist. Von daher müssen wir mit Leuten sprechen, die sich mit Pferden auskennen. Es gibt viele Leute, die sagen, macht es so und so, aber die wissen nichts über Pferde, die wissen nichts darüber, wie wir sie behandeln. Sie kommen nur zu den Turnieren. Aber sie sehen nicht, dass die Pferde die Turniere lieben. 80, vielleicht 90 Prozent der Pferde springen auf diesem Niveau, weil sie es mögen. Wenn sie es nicht mögen würden, würden sie nicht so viel geben. Wir verlangen viel von ihnen. Es sind hohe Hindernisse. Ich denke, wenn sie das nicht mögen würden, hätten wir keine Chance, diesen Sport zu machen.

 

Was sind die Qualitäten, die Sie bei einem Pferd suchen?

Ich habe eine Menge super Pferde geritten. Aber wenn ich ein neues Pferd habe, gibt es kein spezielles Charakteristikum, nach dem ich suche. Ich versuche, das Pferd zu erfühlen, nehme es mit zum Turnier. Es ist sehr schwierig, im Vorfeld zu erkennen, ob ein Pferd im Parcours alles zu geben bereit ist. Natürlich, wenn mir jemand ein neues Pferd bringt, muss es ein Mindestmaß an Vermögen mitbringen. Aber danach ist der Kopf so entscheidend! Caracole (de la Roque) zum Beispiel hat anfangs immer gekämpft, aber auf eine gute Art, nicht gegen mich. Sie hat ein großes Herz und sie liebt es einfach, zu springen. Es hat viel Zeit gebraucht, aber es ist sehr schön zu sehen, wie gut sie heute geht. Karl Cook und Eric Navet haben einen super Job mit ihr gemacht. Es ist schön zu sehen, wie gut es ihr geht.

 

Aber wenn Sie ein Pferd wie Caracole so geliebt haben und so viel Zeit mit ihr verbracht haben, ist es nicht schwer sie gehen zu lassen?

Natürlich ist es das. Aber das gehört zu meinem Beruf dazu. Ich liebe meine Pferde, aber ich binde mich nicht an sie. Natürlich, wenn sie den Stall verlassen, ist das schwer. Aber ich musste das lernen. Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich an einem Championat teilgenommen und die Stute war verkauft, noch ehe wir den Platz verlassen hatten. Ich habe die gesamte Fahrt geheult. Da hat mein Vater zu mir gesagt: ,Das musst du lernen. Du musst die Pferde lieben, aber du darfst dich nicht an sie binden. Das wird dein Job sein.‘ An dem Tag habe ich viel gelernt. Aber mir ist es sehr wichtig, dass die Pferde zu den richtigen Leuten kommen, nicht den erstbesten. Aber es sind ja oft auch gar nicht meine Pferde und ich habe gar keinen Einfluss darauf. Donatello haben wir selbst gezogen. Er gehört mir, er wird nie verkauft werden. Er wird zuhause bei uns sterben.“

 

Wir haben gehört, dass Sie auch Motocross fahren. Zugleich sind Sie einer der schnellsten Reiter der Welt. Gibt es da einen Zusammenhang?

Als ich noch jung war, bin ich viel gefahren. Ich habe auch eine Bahn zuhause, aber ich mache es nicht mehr so häufig. Ich liebe es, zu springen und die Kurven. Die Technik ist immer noch da, aber der Körper macht nicht mehr so mit (lacht). Aber manchmal muss es noch sein. Dann fahre ich so zwei Stunden und komme müde und zufrieden zurück.

 

Wer hatte den größten Einfluss auf Ihren Werdegang und Ihre Art zu reiten und warum?

Das war als erstes mein Vater. Er war ein guter Reiter, ist hier bei uns in der Region (der Normandie, Anm. d. Red.) 1,40 und 1,45 Meter-Springen geritten. Meine Mutter war gut in der Dressur. Die beiden haben mir eine gute Basis gegeben. Später war ich im Winter bei Hubert Bourdy, bei Eric Navet, Rodrigo Pessoa, Michel Robert, Bertrand de Bellabre … überall habe ich versucht, etwas zu lernen.

 

Und was war die wichtigste Lektion?

Ich denke, jeder hat mir etwas mitgegeben. Hubert Bourdy hat mir bei der Dressur sehr geholfen, Michel Robert hat mir einiges über die Bewegung beigebracht, Kevin Staut über die Biomechanik, Michael Hecart, wie man Pferde analysieren und dann reagieren muss. Alles zusammen hat mich geprägt.

 

Können Sie uns etwas über die beiden Pferde erzählen, die Sie hier in Leipzig mit dabeihaben, Easy Up de Grandry und Jappeloup? Sie sind ja beide noch recht neu für Sie.

Ja, Easy Up habe ich noch nicht lange. Ich habe ihn von einem guten Freund gekauft. Wir saßen beim Abendessen zusammen und er zeigte mir ein Video und ich sagte, oh ja, er springt gut. Nach dem Essen habe ich ihn angerufen und gesagt: Ich will ihn ausprobieren. Danach habe ich ihn direkt gekauft. Er hat noch nicht viel Erfahrung. Er ist elfjährig, aber er ist sehr groß und hat lange gebraucht, ist nur kleinere Prüfungen gegangen. In London ist er seinen ersten Grand Prix gegangen. Okay, er hatte drei Fehler. Aber er ist noch nie in der Halle gesprungen. In Basel hatte er nur einen Fehler im Weltcup-Springen und er ist super gesprungen. Und nun sind wir hier. Ich denke, er wird ein super Pferd für Nationenpreise. Er ist ein bisschen langsam, hat aber sehr viel Vermögen und ist supervorsichtig. Mein Plan ist, ihn für Grasplätze wie den in La Baule vorzubereiten.

Und Jappeloup – Nadja Peter-Steiner hat mir dieses Pferd gegeben. Bei den letzten Turnieren hatte sie kein so gutes Gefühl. Darum hat sie mich gefragt, ob ich ihn nehmen und schauen könnte, ob ich Große Preise mit ihm reiten kann. Die erste Runde in London war nicht gut. Da hatte ich vier um. Die Kommunikation stimmte überhaupt nicht. Für die zweite 1,50-Prüfung habe ich mein Reiten ein bisschen umgestellt und er sprang null. Aber er ging auch erst seit 15 Tagen ohne Eisen. Von daher war er etwas empfindlich. Darum habe ich nach der Prüfung aufgehört, ihn mit nach Hausen genommen und versucht, die Hufe zu kräftigen. Er ging auf die Weide und ich habe ihn zuhause zunächst klein gesprungen und dann immer ein bisschen mehr. Das ist jetzt unser zweites (Fünf-Sterne-)Turnier. Heute war es sehr gut. Aber ich muss ihn kennenlernen, er muss mich kennenlernen und er muss in meinem System ankommen. Doch ich hoffe, dass auch er ein Pferd für Große Preise wird.

 

Man hat den Eindruck, die Pferde vertrauen Ihnen sehr. Wie schaffen Sie das? Und wie schaffen Sie es, dass Ihre Pferde so schnell werden?

Wenn es darum geht, Vertrauen aufzubauen, ist es wichtig, so wenig Fehler wie möglich zu machen – immer mit einer guten Distanz zum Sprung zu kommen und es dem Pferd einfach zu machen. Was das Tempo angeht – das ist ein bisschen das gleiche. Wenn man vom Pferd verlangt, dass es sich auf Abkürzungen einlässt, muss es einem Vertrauen. Letztlich geht es immer darum, so wenig Fehler wie möglich zu machen.

 

Sie haben mal gesagt, Sie haben eine Art Ritual: Sie reiten ab und ehe Sie in die Prüfung gehen, stellen Sie das Pferd noch einmal in den Stall. Was hat es damit auf sich?

Das hat einen einfachen Grund: Nachdem ich sie geritten habe, müssen sie die Chance haben, noch einmal zu stallen. Am Morgen bevorzuge ich es zu schlafen, um in guter Form zu sein (lacht). Aber mein Pfleger longiert die Pferde – nur ein bisschen, um die Muskulatur aufzulockern. Das reicht. Aber ca. eine oder eineinhalb Stunden vor der Prüfung reite ich und gucke, wie sie sich anfühlen. Wenn sie sehr frisch sind, mache ich etwas mehr. Wenn ich das Gefühl habe, dass sie ein bisschen müde sind, weniger. Danach gehen sie in die Box und können entspannen, ehe es losgeht.

 

Es hört sich so einfach an, zu sagen, man muss die Pferde immer richtig an den Sprung bringen. Aber wir wissen ja: So einfach ist es nicht. Bei Ihnen hat man den Eindruck, Sie ließen den Pferden maximalen Freiraum. Wie machen Sie es dann?

Man braucht Kontrolle. Es gibt keine Präzision ohne Kontrolle. Dafür braucht man keine Dressur mit Piaffe und Passage oder ähnliches. Ich muss die Pferde zurücknehmen und nach vorne schicken können und ich muss wenden können. Und das alles in gutem Gleichgewicht. Das ist meine Idee für mein Reiten. Ich möchte den Pferden Freiheit lassen. Aber eine Freiheit mit Kontrolle. Das ist die Idee.

(DW)